Mitteilungsvorlage - 16/SVV/0704
Grunddaten
- Betreff:
-
Betreuungsqualität in Potsdamer Kitas verbessern - Reale Betreuungszeiten berücksichtigen
- Status:
- öffentlich (Vorlage abgeschlossen)
- Vorlageart:
- Mitteilungsvorlage
- Federführend:
- Fachbereich Kinder, Jugend und Familie
- Einreicher*:
- Oberbürgermeister, FB Kinder, Jugend und Familie
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | PA |
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Erledigt
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Stadtverordnetenversammlung der Landeshauptstadt Potsdam
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zur Kenntnis
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02.11.2016
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Erledigt
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Jugendhilfeausschuss
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zur Kenntnis
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24.11.2016
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Beschlussvorschlag
Die Stadtverordnetenversammlung nimmt zur Kenntnis:
1. Welcher finanzielle Aufwand ist erforderlich, um den realen Fachkraft-Kind-Schlüssel bzw. Finanzierungsschlüssel in den Potsdamer Kitas so anzupassen, dass die im Kindertagesstättengesetz (KitaG) genannten Fachkraft-Kind-Schlüssel tatsächlich zu jeder Zeit in der Betreuungsgruppe zur Verfügung stehen.
Zusätzlich soll modellhaft errechnet werden
a) wie sich der Ausgleich des in Potsdam höheren durchschnittlichen Betreuungsbedarfes durch eine zusätzliche Stundenstufe und
b) wie sich der Ausgleich der Fehlzeiten für Urlaub, Krankheiten, Fortbildung etc. finanziell auswirken würde.
Rechtliche Rahmenbedingungen:
Die Bezuschussung der freien Träger der Kindertagesstätten in der Landeshauptstadt Potsdam (LHP) erfolgt auf der Grundlage des KitaG. Die Höhe der Bezuschussung des notwendigen pädagogischen Personals hängt von der Anzahl der im Jahresdurchschnitt belegten Betreuungsplätze ab und berücksichtigt den Betreuungsschlüssel (§ 10 KitaG) und die Betreuungszeit (§ 1 Abs. 3 KitaG). Der Betreuungsschlüssel gem. § 10 Abs. 1 KitaG beträgt aktuell in
Krippen
0,8 Stellen einer päd. Fachkraft für 5 Kinder mit einem Betreuungsumfang bis 6h/Tag und
1,0 Stellen einer päd. Fachkraft für 5 Kinder mit einem Betreuungsumfang über 6h/Tag.
Kindergärten
0,8 Stellen einer päd. Fachkraft für 12 Kinder mit einem Betreuungsumfang bis 6h/Tag und
1,0 Stellen einer päd. Fachkraft für 12 Kinder mit einem Betreuungsumfang über 6h/Tag.
„Bei den im § 10 KitaG bestimmten Personalschlüsseln handelt es sich nicht um die Festlegung von tatsächlichen Erzieher-Kind-Relationen, sondern um rechnerische Personalschlüssel, die sowohl den Aufwand für die unmittelbare pädagogische Arbeit mit den Kindern als auch für Tätigkeiten wie Vor- und Nachbereitung und Elternarbeit sowie auch sämtliche Ausfallzeiten durch Urlaub, Krankheit und Fortbildung berücksichtigen.“[1] Die Landeshauptstadt Potsdam hat nur für den Umfang finanziell aufzukommen, für den sie leistungsverpflichtet ist. Der Träger der Einrichtung hat allerdings das Personal für den tatsächlich vorhandenen Betreuungsumfang vorzuhalten. Die Bestimmung der Personalschlüssel soll die Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsqualität gewährleisten, die für die Erfüllung des gesetzlichen Rechtsanspruchs erforderlich ist und verpflichtet den Träger zur Beschäftigung der notwendigen Zahl geeigneter Fachkräfte für die von ihm vereinbarten Betreuungsumfänge.
Es ist zu beachten, dass die Formulierung im Antrag der Fraktionen „einer jederzeit vorherrschenden Fachkraft-Kind-Relation in jeder Gruppe“ womöglich in die Personal- und Ablauforganisation sowie in Konzepte (offene Gruppenarbeit) der Träger eingreifen würde. Alle landesgesetzlichen Regelungen beinhalten ausschließlich Finanzierungsschlüssel und keine tatsächlichen Betreuungsschlüssel.
Ermittlung finanzieller Aufwand Fachkraft-Kind-Schlüssel:
Mit Hilfe des Personalschlüssels kann gezeigt werden, wie viele Personalressourcen für alle Tätigkeiten sowohl mit als auch ohne die Kinder sowie Urlaub, Fortbildungen und Krankheiten zur Verfügung stehen. Damit ausgewiesen werden kann, wie viele Personalressourcen für die pädagogische Praxis mit den Kindern, folglich die unmittelbare pädagogische Arbeitszeit, zur Verfügung stehen. Die Fachkraft-Kind-Relation beschreibt das Verhältnis zwischen den täglichen vertraglichen Betreuungszeiten aller Kinder und der Arbeitszeit, die den zuständigen pädagogischen Fachkräften für die unmittelbare Arbeit mit den Kindern zur Verfügung steht. Um diesen Anteil der Arbeitszeit zu ermitteln, müssen neben Ausfallzeiten auch Zeiten für mittelbare pädagogische Arbeit z. B. in Form von Team- und Elterngesprächen sowie Dokumentation abgezogen werden.
Aktuelle Forschungen kommen zu unterschiedlichen Anteilen mittelbarer pädagogischer Arbeitszeit und Ausfallzeiten von 25, 33 und 40 Prozent. D. h. beispielsweise, wenn ein Anteil von 40 Prozent für mittelbarer Arbeitszeit und Ausfallzeiten angenommen wird, stehen 60 Prozent der Arbeitszeit für unmittelbare pädagogische Aufgaben zur Verfügung. Wenn nun rechnerisch ein Anteil mittelbarer pädagogischer Arbeitszeit und Ausfallzeiten von 33 Prozent zugrunde gelegt werden, ergibt sich für Krippenkinder bei einem Personalschlüssel von 1:5 eine tatsächliche Fachkraft-Kind-Relation von 1:7,5. Für Kinder im Kindergarten ergibt sich bei dieser Herangehensweise bei einem Personalschlüssel von 1:12 eine Fachkraft-Kind-Relation von 1:17,9.[2]
Folge: Im Krippenbereich müsste der Personalschlüssel 1:3,3 betragen, damit die tatsächliche Fachkraft-Kind-Relation von 1:5 erreicht wird. Im Krippenbereich würde ein Personalschlüssel von 0,8/1,0 Stellen für 3,3 Kinder Personal-Mehrkosten von rd. 14,7 Mio. € für die LHP bedeuten.
Im Kindergartenbereich müsste der Personalschlüssel 1:8,0 betragen, damit die Fachkraft-Kind-Relation von 1:12 erreicht wird. Im Bereich des Kindergartens würde ein Personalschlüssel von 0,8/1,0 Stellen für 8,0 Kinder Personal-Mehrkosten von rd. 12,0 Mio. € für die LHP bedeuten.
a.) Ermittlung finanzieller Aufwand für eine zusätzliche Stundenstufe
Entsprechend des Qualitätsleifadens KiTa der Bertelsmann Stiftung[3] wird als Folge bedarfsgerechter Öffnungszeiten eine Personalausstattung für mehr als 8h Betreuungszeit von 1,2 Stellen angenommen und auf die bestehenden Betreuungsschlüssel angewandt, somit 0,8/1,0/1,2 Stellen für 5 Krippenkinder und 0,8/1,0/1,2 Stellen für 12 Kindergartenkinder.
Eine Personalausstattung für mehr als 8h Betreuungszeit von 1,2 Stellen, angewandt auf die bestehenden Betreuungsschlüssel - somit 0,8/1,0/1,2 Stellen für 5 Krippenkinder und 0,8/1,0/1,2 Stellen für 12 Kindergartenkinder – würde bei der LHP zu finanziellen Mehraufwendungen von rd. 4,5 Mio. € führen.
b.) Ermittlung finanzieller Aufwand bei Ausgleich der Fehlzeiten für Urlaub, Krankheiten, Fortbildung etc.
Wie zuvor dargestellt, kann man mit Bezug auf Bertelsmann rechnerisch für die mittelbare pädagogische Arbeitszeit (Teamgespräche, Dokumentation, Elterngespräche u.a.) und Ausfallzeiten (Urlaub, Fortbildung, Krankheit) ca. 33 Prozent von der eigentlichen Bruttoarbeitszeit ansetzen. Bertelsmann unterstellt, dass ca. 14 – 18% der Bruttoarbeitszeit allein für Urlaub, Krankheit und Fortbildung „aufgezehrt“ werden, die folglich nicht für mittelbare wie unmittelbare pädagogische Arbeitszeit zur Verfügung steht. Der Einfachheit halber wird von der Hälfte der zuvor genannten 33 Prozent an grundsätzlich nicht zur unmittelbaren pädagogischen Arbeit zur Verfügung stehenden Bruttoarbeitszeit, mithin 16,5 % an Ausfallzeit für Urlaub, Krankheit und Fortbildung ausgegangen.
Für den Krippenbereich würde dieser Ausgleich der Fehlzeiten ca. 7 Mio. € und für den Kindergartenbereich ca. 6 Mio. € Mehraufwendungen bedeuten.
2.Welche Maßnahmen sind für eine Veränderung der Personalschlüssel auf kommunaler Ebene notwendig
Über die landesgesetzliche Vorschrift (§ 10 des KitaG) müsste entweder die Kita-Finanzierungsrichtlinie diese „besseren“ Finanzierungs- bzw. Betreuungsschlüssel regeln oder ein separater Beschluss (ähnlich wie für Kinder von Geflüchteten in Kitas) gefasst werden, um folglich die Bezuschussung an die Träger zu legitimieren. Eine Änderung des Personalschlüssels als freiwillige Leistung der LHP müsste vollständig aus dem städtischen Haushalt finanziert werden. Fraglich ist, ob die Umsetzung von Maßnahmen, die an die Landesregierung gerichtet sein müssen, nur durch die LHP zielführend sind. Bessere Lebens- und Bildungsbedingungen für alle Brandenburger KiTas im Verbund zu erwirken, sollte Ziel sein.
3. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, auf Basis der Prüfergebnisse Gespräche mit der Landesregierung aufzunehmen, um eine entsprechende Erhöhung der Finanzierung zu erreichen.
Das Projekt der Bertelsmann Stiftung „KitaZOOM – Ressourcen wirksam einsetzen“ endete mit der
Abschlussveranstaltung im April 2016. Alle bisher am Prozess beteiligten Akteure aus dem Kita-Bereich (Landkreise und Kommunen, Wohlfahrtsverbände und die bildungspolitischen Sprecher von SPD, DIE LINKE und B90/DIE GRÜNEN des Landtags) sowie Minister Baaske sprachen sich mit Beendigung des Bertelsmann Projekts für eine Fortführung des Dialogs aus. Genau hier sollte angesetzt werden. Das MBJS übernahm bereits die Einladung zur 1. Sitzung „Fortführung KitaZOOM-Dialog“. Folgenden Themenbereichen soll sich weiterführend gewidmet werden:
- Qualität in der Praxis
- Schwachstellen und Anwendungsprobleme im System der Kindertagesbetreuung
- Neuaufstellung des Finanzierungssystems
Die Themenbereiche beinhalten den hier genannten Auftrag an den Oberbürgermeister.
Beratungen zu den o. g. Themen sollen in einem Zeitraum von bis zu zwei Jahren mit einem fortgesetzt Expertengremium fortgesetzt werden. Dem sollen angehören:
o 2 Vertreter_innen des Landkreistages
o 2 Vertreter_innen des Städte- und Gemeindebundes
o 4 Vertreter_innen der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege
o 4 Abgeordnete (bildungspolitische Sprecher der Fraktionen) aus dem Landtag
o 2 Vertreter_innen aus dem MBJS
Vorrang sollte die Neuaufstellung des Finanzierungssystems haben. Vorhandene Ergebnisse und Teilergebnisse sollten Berücksichtigung finden.
- Die Stadtverordnetenversammlung empfiehlt dem Jugendhilfeausschuss entsprechend § 6a KitaG die Konstituierung eines Elternbeirates für die Kitas der Landeshauptstadt Potsdam in die Wege zu leiten. Dieser soll sich so noch im 4. Quartal 2016 konstituieren und erhält die Möglichkeit mit beratender Stimme im Jugendhilfeausschuss teilzunehmen.
- Die Satzung des Jugendamtes der Landeshauptstadt Potsdam wird in §4(4) nach dem Anstrich "- der Kreisrat der Lehrkräfte" ergänzt um "-der Elternbeirat der Kitas der Landeshauptstadt Potsdam".
Gemäß dem durch das Gesetz vom 27.07.2015 in das KitaG eingefügten § 6a kann der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe regeln, dass in seinem Gebiet ein örtlicher Elternbeirat des Landkreises oder der kreisfreien Stadt gewählt werden kann.
Der Jugendhilfeausschuss hat in seiner Sitzung am 22.09.2016 für die Konstituierung des Elternbeirates ausgesprochen.
Die Eltern, deren Kinder eine Kindertagesstätte besuchen, können aus ihrer Mitte für ihre Einrichtung eine Vertretung in den örtlichen Elternbeirat des Landkreises oder der kreisfreien Stadt wählen. In der Begründung zu dem Gesetzentwurf heißt es: "Durch die Einführung des § 6a werden die Beteiligungsmöglichkeiten der Eltern auf kreislicher Ebene und auf Landesebene gestärkt." (Landtagsdrucksache 6/1520).
Der Fachbereich Kinder, Jugend und Familie bereitet gegenwärtig die Umsetzung des Auftrags vor. Bei Erfordernis erfolgt die Einbindung der WerkStadt für Beteiligung der LHP (Schnittstelle zwischen Verwaltung und Einwohnerschaft, Kompetenzzentrum für die Verwaltung) um Prozesse der Bürgerbeteiligung besser zu planen und zu koordinieren und das Verfahren schnell, transparent und kompetent umzusetzen.
[1] Detlef Diskowski, Reinhard Wilms: Kindertagesbetreuung in Brandenburg. Praxiskommentar für Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflege, Praxisberatung und Verwaltung. 81. Lieferung. Carl Link, Kronach, Rechtsstand 01.05.2016, Kennzahl 12.10, Erläuterung Nr. 3.1.
[2] Bertelsmann Stiftung: Bessere Lebens- und Rahmenbedingungen für alle Kinder in Brandenburger KiTas. Zentrale Ergebnisse des Simulationsprozesses in der Modellkommune Potsdam im Überblick, 01.03.2011.
[3] Bertelsmann Stiftung: Qualitätsleitfaden KiTa. Qualitätsansprüche und -kriterien für Kindertageseinrichtungen der Städte Potsdam, Brandenburg/H., und des LK Märkisch-Oderland, August 2015