Beschlussvorlage - 17/SVV/0863

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag

Der Hauptausschuss möge beschließen:

 

In den Jahren 2018 und 2019 wird modellhaft der verstärkte Einsatz zufallsbasierter Bürgerbeteiligung erprobt. Unter der Bezeichnung „Beteiligungspool“ wird von der WerkStadt für Beteiligung ein zweijähriger Modellversuch durchgeführt.

 

Begleitend zum Modellversuch wird dieser evaluiert, so dass eine Feinabstimmung des Verfahrens noch in der Modelllaufzeit möglich ist. Die Teilnahme an konkreten Beteiligungsverfahren bleibt auch künftig allen Interessierten offen und ist ausdrücklich nicht auf Personen aus dem „Beteiligungspool“ beschränkt.

 

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Erläuterung

Begründung:

 

Anforderungen für die praktische Umsetzung in Potsdam

Die Landeshauptstadt Potsdam sammelt bereits praktische Erfahrung bei der Nutzung von zufallsbasierten Verfahren. Bislang geschieht dies allerdings nur in zwei Einsatzfeldern: bei Bürgerumfragen (beispielsweise „Leben in Potsdam“) sowie bei der Besetzung des Beteiligungsrats.

 

Ein zufallsbasiertes Auswahlverfahren für Beteiligung in der Landeshauptstadt Potsdam soll aus Sicht der WerkStadt für Beteiligung folgende Anforderungen erfüllen:

 

  1.                                                                            Auf einer möglichst breite Datenbasis aufbauen, damit sich die Zufallsauswahl dem Ideal der Repräsentativität möglichst weit annähern kann.
  2.                                                                            Es soll möglichst geringen finanziellen und personellen Aufwand für Einrichtung und Pflege erfordern.
  3.                                                                            Es soll bei unterschiedlichen Beteiligungsverfahren mit geringem Vorlauf (< 4 Wochen) einsetzbar sein;
  4.                                                                            eine gute Balance zwischen breiten Anwendungsspektrum und niedrigschwelliger Teilnahmehürde bieten.
  5.                                                                            Die freiwillige Teilnahme engagierter Bürgerinnen und Bürger an Beteiligung nicht behindern und zugleich keinen Teilnahmezwang ausüben.
  6.                                                                            Dem Potsdamer Beteiligungsgrundsatz „Anerkennungskultur“ Rechnung tragen.
  7.                                                                            glichkeiten der Evaluation zur Weiterentwicklung und Verfeinerung des Verfahrens bieten.

 

 

Konkreter Umsetzungsvorschlag für die Landeshauptstadt Potsdam

Im Sinne einer breitest möglichen Datengrundlage ist eine Zufallsauswahl auf Basis des Einwohnermelderegisters sinnvoll und üblich. Diese benötigt jeweils eine gesonderte Antragstellung und datenschutzrechtliche Freigabe. Daher sehen wir vor, diesen ressourcenintensiven Teil des Gesamtverfahrens nicht für jedes einzelne Beteiligungsverfahren separat durchzuführen, sondern stattdessen mit der Einrichtung eines jeweils für ein Jahr gültigen „Beteiligungspools“ zu arbeiten.

 

Hierfür werden erstmals im Herbst 2017 mehrere Tausend zufällig aus dem Einwohnermelderegister gezogene Personen ab 16 Jahre per Brief angeschrieben. Die Angeschriebenen werden gebeten, sich bei grundsätzlichem Interesse an der Mitwirkung per Eintrag in ein Online-Formular (oder per Papier) zurückzumelden. Bei der Rückmeldung sind zwingend eine Reihe von Angaben zur Person zu machen (beispielsweise Geschlecht, Alter, Interessenschwerpunkte) sowie Kontaktdaten.

 

Die Angeschrieben erklären sich mit ihrer Rückmeldung grundsätzlich einverstanden, im kommenden Jahr für die Teilnahme an einem einzigen Beteiligungsverfahren ansprechbar zu sein. Selbstverständlich gilt kein Beteiligungszwang die tatsächliche Teilnahme an einem Verfahren bleibt stets freiwillig.

 

Um dem interessierten und engagierten Teil der Stadtbevölkerung ebenfalls die Teilnahme zu ermöglichen, ist zusätzlich allen Interessierten die freiwillige Anmeldung für den „Beteiligungspool“glich. Zu besseren Bekanntmachung wird das Verfahren durch eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit begleitet. Für die erstmalige Durchführung gehen wir davon aus, dass ein „Pool“ der mehrere hundert Personen umfasst für einen Pilotversuch ausreicht.

 

Steht ein konkretes Verfahren an, wird per Zufallsprinzip die gewünschte Anzahl an Personen ausgelost. Die Angaben der Interessenten ermöglichen dabei nötigenfalls eine eingegrenzte Auswahl anhand von Schlüsselmerkmalen. So kann beispielsweise regelmäßig sichergestellt werden, dass die Teilnehmerschaft geschlechterparitätisch zusammengesetzt ist. Zugleich kann flexibel auf besondere Anforderungen eines Verfahrens reagiert werden, beispielsweise wenn für eine Beteiligung nur Personen aus einem bestimmten Stadtteil oder Sozialraum gesucht werden. Alle zur Auswahl für ein Verfahren genutzten Schlüsselmerkmale werden stets transparent dokumentiert.

 

Personen die an einer Veranstaltung teilgenommen haben, scheiden für das laufende Kalenderjahr aus dem „Pool“ aus eine mehrfache Teilnahme über den „Beteiligungspool“ ist nicht möglich.  Daneben steht es Interessierten selbstverständlich frei, aus eigenem Antrieb eine Beteiligungsveranstaltung aufzusuchen oder sich in den Folgejahren erneut für den „Beteiligungspool“ anzumelden.

 

Die Gewinnung der Teilnehmenden für ein bestimmtes Verfahren erfolgt im Regelfall per Telefonanruf durch die WerkStadt für Beteiligung. Da für die meisten Verfahren 20-40 Teilnehmende ausreichen, lässt sich dieser letzte Schritt der Rekrutierung mit vertretbarem Personalaufwand bewältigen. Wenn nötig, können den Teilnehmenden zur besseren Vorbereitung vorab wichtige Informationen und Unterlagen zum Beteiligungsgegenstand übersandt werden. Zugleich ist es möglich, frühzeitig Unterstützungsbedarfe abzufragen, beispielsweise ob eine Kinderbetreuung, eine Gebärdensprachdolmetschung oder anderweitige Hilfe benötigt wird. Insgesamt ist auf diese Weise eine bedarfsgerechte Planbarkeit für einzelne Veranstaltungen möglich. Planungs- und Durchführungskosten können gesenkt und die Aufgaben effizienter erledigt werden.

 

Gegen Ende des Kalenderjahres werden alle Personen im „Beteiligungspool“ angeschrieben und auf die Möglichkeit der erneuten Bewerbung für das Folgejahr hingewiesen. Interessierte können so mit vergleichsweise wenig Aufwand für ein fortgesetztes Engagement gewonnen werden. Selbstverständlich werden die personenbezogenen Daten des vorhandenen Auswahlpools nach Ablauf des Jahres gelöscht beziehungsweise anonymisiert.

 

Evaluation und Anpassbarkeit

Von dem Modellversuch erwarten wir Erkenntnisse über die Wirksamkeit und die Grenzen des Ansatzes. Das für den „Beteiligungspool“ beschriebene Vorgehen ist zyklisch, gut zu standardisieren und langfristig planbar. Alle einzelnen Bausteine (Rekrutierung, Ansprache, erhobene Daten und so weiter) lassen sich einzeln anpassen und weiterentwickeln. Wenn der Testlauf positiv verläuft, ist es mit geringem Aufwand sowohl möglich, das Verfahren fortzuschreiben als auch die aus der Evaluation gewonnenen Erkenntnisse hierbei einfließen zu lassen. Zugleich können relativ leicht Kennziffern erhoben werden, die über die Jahre eine gehärtete Evaluation der Leistungsfähigkeit des Ansatzes ermöglichen.

 

Hintergrund und Anlass für die Entwicklung des Verfahrens

Anlass für die konzeptionelle Entwicklung des „Beteiligungspool“ durch die WerkStadt r Beteiligung sind drei Herausforderungen, die in engem Zusammenhang mit einer geringen Zahl an Teilnehmenden bei einzelnen Verfahren der Bürgerbeteiligung stehen.

 

Aktuell fußen nahezu alle Beteiligungsverfahren bundesweit ebenso wie in Potsdam auf Selbstauswahl. Das heißt, dass ausschließlich Personen beteiligt sind, die sich selbst für eine Teilnahme motiviert haben. Die ausschließliche Nutzung dieses Auswahl-Modus kann allerdings sofern er nicht erweitert wird unter mehreren Gesichtspunkten problematisch sein.

 

Die nachfolgend beschriebenen Herausforderungen sind ausdrücklich nicht Potsdam-spezifisch, sondern lassen sich in allen Kommunen und Gebietskörperschaften, die Beteiligungsverfahren intensiver nutzen, beobachten.

 

  1.                                                                            Unter den Bedingungen der reinen Selbstauswahl leidet Beteiligung oftmals unter einem sogenannten „Mittelschichts-Bias“, das heißt, die Teilnehmerschaft ist ganz überwiegend deutsch, männlich, älter als 40 Jahre mit höherem Bildungsabschluss, höherem Einkommen und politisch stark interessiert. Verfahren verfehlen damit ihr prozedurales Versprechen, nämlich zu besser legitimierten Ergebnissen zu führen.

 

  1.                                                                            Bei der ausschließlichen Selbstauswahl besteht weiterhin die Gefahr, dass Beteiligungsverfahren ihren inhaltlichen Zweck verfehlen. Dies ist dann der Fall, wenn die Teilnehmerzahl so gering ausfällt, dass kein sinnvoller Austausch von Positionen und Informationen möglich ist. Auch wenn dies nicht der Regelfall ist, musste auch die WerkStadt für Beteiligung beispielsweise bereits die Erfahrung machen, dass zu einer Veranstaltung buchstäblich nur eine Handvoll Menschen kommen.

 

  1.                                                                            Nicht zuletzt sorgt die ausschließliche Selbstauswahl bei der Durchführung von Beteiligungsverfahren für eine Kostensteigerung, da keine bedarfsgerechte Planung möglich ist. Ist im Vorfeld einer Veranstaltung nicht einigermaßen verlässlich zu bestimmen wie viele Personen daran teilnehmen, muss bei den benötigten Ressourcen (Raumgröße, Personal vor Ort, Materialien, Bewirtung) vorsorglich mit Überkapaziten gearbeitet werden.

 

Sowohl die bundesweiten Erfahrungen mit Beteiligung der letzten Jahre, als auch die Erfahrungen aus dem Modellprojekt in Potsdam haben gezeigt, dass alle drei geschilderten Effekte in schwankender Intensität regelmäßig zu beobachten sind. Aus unserer Sicht bedarf es daher einer strukturellen Antwort, der Ansatz „mehr vom Gleichen“ (im Sinne einer bloßen Intensivierung der Bekanntmachungsarbeit) ist schlicht nicht zielführend.

 

Zufallsbasierte Beteiligung als Lösungsansatz

Die Stärkung von zufallsbasierten (sogenannten „aleatorischen“) Verfahren wird in Forschung und Praxis der Beteiligung seit einigen Jahren verstärkt diskutiert. Konkret geht es darum, statt der ausschließlichen Selbstauswahl die Teilnehmerschaft von Beteiligungsverfahren zumindest auch auf Basis einer zufallsbasierten Auswahl zu gewinnen. Grundsätzlich ist es leicht möglich, die Zufallsauswahl mit anderen Verfahren zu kombinieren, was eine hohe Flexibilität bei ihrem Einsatz ermöglicht. An dieser Stelle soll ausdrücklich betont werden, dass der zufallsbasierte Ansatz nicht zum Ziel hat, herkömmliche Verfahren zur Teilnehmergewinnung zu ersetzen es geht um eine bloße Erweiterung des verfügbaren Instrumentariums.

 

Die nachfolgenden Effekte einer Zufallsauswahl können sich nach Einschätzung der WerkStadt für Beteiligung positiv auf Bürgerbeteiligung in Potsdam auswirken:

 

  1.                                                                            Eine ausgewogenere Zusammensetzung der Teilnehmerschaft. Vorausgesetzt die herangezogene Grundgesamtheit ist groß genug, sorgt das sogenannte ‚Gesetz der großen Zahlen dafür, dass sich die gezogene Stichprobe dem Ideal der Repräsentativität annähert. Realistisch kann dieses Ideal nicht erreicht werden (der Zufall kann im Einzelfall sogar für deutliche Ausreißer sorgen), im Vergleich zur Selbstauswahl kommt man dem Ideal aber regelmäßig erheblich näher.
  2.                                                                            Manche Fragestellung zwischen verschiedenen interessierten Parteien sind nicht durch den bloßen Austausch von Argumenten (der sogenannten „Rationalität erster Ordnung“) zu entscheiden. Es droht dann eine Blockade, die das weitere Vorankommen verhindert. Um trotzdem zu einer Entscheidung zu gelangen, kann die Entscheidung an ein als fair empfundenes Verfahren (sogenannte „Rationalität zweiter Ordnung“) delegiert werden. Zufallsbasierte Verfahren begründen eine solche Ordnung. Bekanntestes Beispiel ist der Münzwurf zur Seitenwahl bei einem Fußballspiel.
  3.                                                                            Daneben haben Zufallsauswahlen nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung der Teilnehmenden. Da sie eben nicht allein aus eigenem Antrieb an einem Verfahren teilnehmen, erleben sie diese Gelegenheit im Regelfall als besonderes Privileg. Die meisten Menschen reagieren hierauf mit einer hohen Einsatzbereitschaft und Motivation.
  4.                                                                            Es ist regelmäßig zu beobachten, dass die Zufallsauswahl zu einer anderen Rollenwahrnehmung bei den Teilnehmenden führt. Unter der Bedingung der Selbstauswahl nehmen vor allem Personen teil, die hierfür aufgrund ihrer beruflichen oder privaten Interessen eine besondere Motivation haben, also eine eigene Agenda „mitbringen“. Die Zufallsauswahl sorgt hingegen dafür, dass die Teilnehmenden hiervon ein stückweit abstrahieren. In der Folge tendieren die meisten Personen dazu, sich in den Diskussionen und bei der Suche nach einer Lösung stärker am Interessenausgleich zu orientieren.

 

Zufallsbasierte Verfahren bieten also vielfältige Einsatzmöglichkeiten, sind aber nicht im jedem Fall der beste Ansatz. In bestimmten Fällen „passen“ die Mechanismen der Zufallsauswahl schlichtweg nicht zur Aufgabenstellung. Eine obligatorische Nutzung von Zufallsauswahlen für Bürgerbeteiligung in Potsdam ist daher auch künftig nicht vorgesehen.

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Fazit finanzielle Auswirkungen

 

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Anlagen

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