Antrag - 19/SVV/0065

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag

 

Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen:

 

Der Oberbürgermeister wird auch in seiner Funktion als Gesellschaftervertreter der Landeshauptstadt Potsdam (LHP) in den städtischen Betrieben - beauftragt, die zuständigen Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung und die Geschäftsführungen der städtischen Betriebe anzuweisen, Verträge zur Bewerbung des Bundeswehrdienstes zu unterlassen und in diesem Zusammenhang stehende Werbeverträge zu kündigen.


 

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Erläuterung

Begründung:

 

Seit einigen Monaten wirbt die Bundeswehr zusätzlich zur großformatigen Werbung an Bus- und Bahnhaltestellen auf Straßenbahnen der städtischen Verkehrsbetriebe in Potsdam (VIP). Die Bundeswehrwerbung sorgt dafür, dass die Camouflage-Farben von Kriegsgeräten zum großflächigen Erscheinungsbild Potsdams gehören. Die starke Werbepräsenz der Bundeswehr stößt vermehrt bei vielen Potsdamer*innen auf Unverständnis und das aus nachvollziehbaren Gründen:

 

 

1. Die VIP GmbH verstößt mit der Bundeswehrwerbung wiederholt gegen ihr selbst auferlegtes Prinzip, parteiische und politische Werbung zu vermeiden.

 

Die Bundeswehr versteht sich keineswegs als politisch neutraler Akteur. So ist auch die Werbung für die Bundeswehr als politische Werbung einzuordnen. Dies zeigt sich insbesondere auch in der Behauptung, dass das Handeln der Bundeswehr das sei, „was wirklich zählt“. Diese Aussage würdigt politisches Handeln gegenüber militärischem Handeln offen ab. Die Bundeswehr stellt hier verbal das Prinzip der politischen Führung auf den Kopf eine gefährliche Entwicklung für einen zentralen Baustein unseres politischen Systems.

 

Die VIP beweist mit der Bundeswehrwerbung einmal mehr ihre Einseitigkeit und Parteinahme für tendenziell konservative bis reaktionäre Politik. So haben die Potsdamer Verkehrsbetriebe in den letzten Jahren folgende Werbung zugelassen oder abgelehnt:

 

JA: Außenwerbung für den Kohlekonzern Vattenfall

NEIN: Werbung für das Volksbegehren "Keine neuen Tagebaue!"

 

JA: Werbespot der Initiative Mitteschön für den Aufbau der Garnisonkirchenattrappe

NEIN: Werbespot der BI "Für ein Potsdam ohne Garnisonkirche"

 

JA: Werbespot des Landesbauernverbandes

NEIN: Volksbegehren gegen Massentierhaltung

 

JA: Bundeswehr-Nachwuchswerbung

 

Es ist kaum zu akzeptieren, dass der Verkehrsbetrieb seit Jahren sehr einseitig Botschaften bewirbt, die im politischen Raum umstritten sind. Und es ist erst Recht nicht zu akzeptieren, dass der Oberbürgermeister die Auskunft darüber verweigert, ob und wieviel die Bundeswehr für ihre Werbung überhaupt bezahlt hat.

 

 

2. Die Werbung der Bundeswehr zielt insbesondere auf Kinder und Jugendliche ab.

 

Im Design von Computerspielen wird ein völlig verzerrtes Bild der Bundeswehrtätigkeit und ein Heldenmythos vermittelt, der Kriegseinsätze verharmlost und heroisiert. Die starke Fokussierung auf Jugendliche unterläuft das Verbot der UN-Kinderrechtskonvention, Kinder und Jugendliche für den Militärdienst anzuwerben. Minderjährige können sich der großflächigen Werbung nicht entziehen. Was im Sinne der Werbestrategie der Bundeswehr ist, sollte in einer Stadt, die Wert auf Kinder- und Jugendschutz legt, nicht geduldet werden.

 

 

3. Bundeswehrwerbung im öffentlichen Raum stellt eine Gefahr für traumatisierte Soldat*innen dar.

 

Der omnipräsenten Werbung auf den Straßenbahnen kann sich niemand entziehen. So ist es nicht verwunderlich, dass sich eine ehemalige Soldatin mit traumatisierender Kriegserfahrung in Afghanistan bei der Fraktion DIE aNDERE gemeldet hat, um auf die für sie fatale Wirkung der Bundeswehrwerbung aufmerksam zu machen. Die Betrachtung der Bundeswehrwerbung wirkt wie ein Trigger, der die Stresssituation vergangener Kriegserlebnisse bei den Betroffenen mit posttraumatischen Belastungsstörungen in Erinnerung ruft. Da diese Erscheinungen sehr belastend sein können, werden mögliche Auslöser (Trigger) oft konsequent vermieden. Das kann so weit gehen, dass es zu einem generellen Rückzug aus dem sozialen Umfeld kommt (Bundesministerium der Verteidigung 2018). Die Dunkelziffer an traumatisierten Soldat*innen ist nach Einschätzungen von Bundeswehrangehörigen sehr hoch. Das liegt auch daran, dass die Außendarstellung gerade durch die heroisierende Bundeswehrwerbung das „Bild des Soldaten in der Öffentlichkeit als eines starken, tapferen Beschützers“rdert (Clair 2013). Für kranke Soldat*innen in der Bundeswehr ist in der Werbung kein Platz. Die Bundeswehrwerbung wirkt so doppelt belastend für kranke und ehemalige Soldat*innen: Sie fördert die Scham der Soldat*innen, über ihre Probleme zu reden und löst posttraumatische Stresssituationen aus, die zur Re-Traumatisierung führen können.

 

 

4. Die durchgehende Botschaft der Bundeswehrwerbung stellt kriegerische Auseinandersetzungen als einen Dienst an der Gesellschaft dar und leistet Vorschub für eine Militarisierung der Gesellschaft.

 

Mach was, was wirklich zählt“ - so ein häufiger Bundeswehrspruch auf den Tramflächen. Die omnipräsenten Botschaften des militärischen Kampfs beeinflussen das gesellschaftliche Bewusstsein: Internationale Konfliktlösungen werden automatisch mit Kriegseinsätzen verbunden, die zumeist als leichtfertige Actionfilme oder Computerspielszenarien dargestellt werden. Die komplexe Realität der Konfliktursachen und ihrer möglichen sozialen Lösungen wird ignoriert. Dabei sollte friedliche Konfliktlösung und -prävention genau das sein, „was wirklich zählt“. Währenddessen sind Militärdienste viel mehr etwas, was soweit wie möglich vermieden werden sollte.

 

 

 

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Bundesministerium der Verteidigung (2018) Umgang mit psychisch und/oder physisch Einsatzgeschädigten in der Bundeswehr, unter

 

https://www.bundeswehr-support.de/bws/custom/domain_1/content_files/KRD-10-4-V1-FK.pdf

 

Clair, Johannes (2013) Bundeswehr-VeteranMein Leben dreht sich permanent um den Einsatz“, unter: https://www.berliner-zeitung.de/bundeswehr-veteran--mein-leben-dreht-sich-permanent-um-den-einsatz--3850084

 


 

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