Mitteilungsvorlage - 21/SVV/1220

Reduzieren

Beratungsfolge

Reduzieren

Beschlussvorschlag

Die Stadtverordnetenversammlung nimmt zur Kenntnis:

 

Der Oberbürgermeister wurde beauftragt, durch die PMSG Potsdam Marketing und Service GmbH prüfen zu lassen, wie und bis wann die Zertifizierung „Reisen für Alle“ des DSFT (Deutsches Seminar für Tourismus e.V.) in der Landeshauptstadt Potsdam umgesetzt werden könnte. Weiterhin sollte geklärt werden, ob das Land Brandenburg im Rahmen seiner Tourismusstrategie die Kosten übernimmt.

 

Die Prüfung haben PMSG und LHP (unter Einbeziehung der Beauftragten für Menschen mit Behinderung, Dr. Tina Denninger) gemeinsam vorgenommen und sich inhaltlich mit der TMB Tourismus Marketing Brandenburg GmbH beraten. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass eine Zertifizierung nach „Reisen für Alle“ derzeit als nicht realistisch angesehen wird. Gründe dafür sind die benötigten hohen personellen und finanziellen Ressourcen, die derzeit angespannte wirtschaftliche Situation der Tourismusbranche sowie die im Land Brandenburg bestehende Möglichkeit der Aufnahme im Informationsportal „Brandenburg für Alle“, in welchem die Bedürfnisse von Gästen mit Einschränkungen Berücksichtigung finden.

 

Es gibt mehrere Varianten der Kennzeichnung von touristischen Angeboten/Produkten, die sich vornehmlich an Gäste mit Behinderungen oder Einschränkungen richten. Daher wird es als notwendig angesehen, an dieser Stelle neben der Zertifizierung „Reisen für Alle“ ebenfalls die Kennzeichnung nach „Brandenburg für Alle“ zu betrachten. Im Folgenden werden beide Systeme kurz vorgestellt:

 

Reisen für Alle

 Reisen für Alle“ ist ein bundesweites Zertifizierungssystem im Bereich Barrierefreiheit. Es handelt sich um ein Informations- und Bewertungssystem, welches es dem Gast ermöglicht, die Eignung des Angebots für seine Ansprüche eigenständig zu beurteilen.
 

Durch ausgebildete „Erheber“ werden die r die Gäste notwendigen Informationen erfasst und mit klaren Qualitätskriterien bewertet. Die detaillierten und geprüften Informationen zur Barrierefreiheit von Angeboten/Objekten können von Gästen eingesehen werden und schaffen so mehr Transparenz und Verlässlichkeit. Die Teilnahme an der Zertifizierung „Reisen für Alle“ ist für jeden Anbieter, Betrieb und Ort möglich. Angebote entlang der gesamten touristischen Servicekette (Customer Journey) können als Einzelbetrieb und zusammengefasst als sogenanntes „Angebotsbündel“ zertifiziert werden. Dies umfasst Angebote von der Anreise bis zur Abreise, von Unterkunft und Gastronomie bis hin zu Sehenswürdigkeiten und Freizeitaktivitäten. Angebotsbündel können z. B. aus einem Beherbergungsbetrieb und mindestens zwei weiteren Angeboten bestehen, möglich sind auch Reiseideen und Urlaubsinspirationen. Orte und Regionen können zertifiziert werden, wenn sie eine bestimmte Anzahl von zertifizierten Angebotsbündeln vorweisen. Die notwendige Anzahl hängt von der Größe des Ortes/der Region ab. Als Maßr die Größe gilt in diesem Fall die Anzahl der offiziellen Beherbergungsbetriebe.

 

Brandenburg für Alle

Brandenburg für Alle“ Ist ein landesweites Informationssystem der TMB Tourismus Marketing Brandenburg GmbH. Auch hier erhalten Gäste Informationen, die ihren jeweiligen Bedürfnissen entsprechen. Alle Angebote werden mit Hilfe von geschulten Partnern der Reiseregionen im Auftrag der Tourismusakademie Brandenburg auf Barrierefreiheit überprüft. In diesem System werden seit 2010 detaillierte und gepfte Informationen zur Barrierefreiheit von inzwischen ca. 900 Unterkünften, Freizeit- sowie gastronomischen Angeboten zur Verfügung gestellt. Die erhobenen Detailinformationen zur Barrierefreiheit werden in das touristische Content-Netzwerk Brandenburgs integriert und können in den jeweiligen Einträgen zu den Anbietern per Link zu www.barrierefrei-brandenburg.de direkt aufgerufen werden. Sie werden nicht nur auf der Seite der Landesmarketingorganisation TMB www.reiseland-brandenburg.de verlinkt, sondern z.B. auch im Softwareprojekt „Mein Brandenburg“, in der Brandenburg App sowie auf vielen weiteren regionalen Websites (z.B. www.potsdamtourismus.de) und weiteren Apps. Alle Angebote von „Brandenburg für Alle“ werden mit Hilfe von geschulten Erhebern aus dem Team der TMB oder den Reiseregionen auf Basis von landesweit gültigen Checklisten für Barrierefreiheit überprüft. Wie auch bei „Reisen für Alle“ beruhen die Angaben also nicht auf Selbstauskünften der Betriebe. Sie werden alle drei Jahre auf Aktualität geprüft. Die Erhebungsbögen wurden in einem landesweiten Prozess mit Touristikern und Betroffenenvertretern erarbeitet.

 

Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen „Reisen für Alle“ und „Brandenburg für Alle“

Der größte Unterschied zwischen den beiden Systemen besteht darin, dass es sich bei „Reisen für Alle“ um ein Zertifizierungssystem handelt, das eine Bewertung der Barrierefreiheit vornimmt („barrierefrei für Gäste im Rollstuhl, Stufe 1 von 2“), während „Brandenburg für Alle“ ohne Wertung über den Zustand vor Ort informiert. Beide Systeme bieten online Suchfilter, mit denen die jeweiligen Angebote auf die Bedürfnisse der Gäste angepasst werden können (z.B. „zeig mir nur noch Anbieter, bei denen alle Türen mind. 90 cm breit sind und die Haltegriffe am WC haben“). Beglich der abgefragten Daten gibt es zwischen beiden Systemen große Schnittmengen. Im Detail funktionieren die Erhebungsbögen von „Reisen für Alle“ etwas anders, da sie modular aufgebaut sind. Bei „Reisen für Alle“ werden zudem noch weitere Daten erhoben, was die Prüfberichte umfangreicher macht als die Einträge des Brandenburger Systems „Brandenburg für Alle“. Der Prozess der Zertifizierung nach „Reisen für Alle“ wird von den einzelnen Betrieben individuell durchgeführt. Seitens des Lizenznehmers findet eine Begleitung statt. Jede Einrichtung muss mindestens einen Mitarbeiter bzw. eine Mitarbeiterin schulen lassen. Die einzureichenden Unterlagen sind individuell je Betrieb zu bearbeiten.

Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Systemen betrifft die Kosten. Die finanziellen Aufwendungen r eine Zertifizierung nach „Reisen für Alle“ liegen zwischen 345 € und 1.370 € pro Betrieb. Demgegenüber belaufen sich die Kosten pro Betrieb für die Aufnahme im landesweiten Informationsportal „Brandenburg für Alle“ auf nur 50 €r drei Jahre. Ein nach „Reisen für Alle“ zertifiziertes Angebot wird automatisch und ohne weitere Kosten in das Portal „Brandenburg für Alle“ aufgenommen.  Finanzielle oder personelle Unterstützungen Potsdamer Unternehmen, die beabsichtigen, sich einem Kennzeichnungssystem anzuschließen, sind im Haushalt der LHP derzeit nicht abgebildet. Eine Förderrichtlinie dafür gibt es nicht. Eine Zertifizierung nach „Reisen für Alle“ wird durch das Land Brandenburg nicht gefördert.               

 Reisen für Alle“ als bundesweit einheitliches System wird von großen bundesweiten Partnern wie z.B. dem ADAC oder der DZT Deutschen Zentrale für Tourismus unterstützt.

Weitere Informationen zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden beider Systeme:  https://www.tourismusnetzwerk-brandenburg.de/barrierefrei/kennzeichnungen/

 

Zertifizierung eines Ortes nach „Reisen für Alle“

Wie bereits beschrieben, setzt die Zertifizierung eines Ortes nachReisen für Alle“ die Zertifizierung von sogenannten Angebotsbündeln voraus. Nach derzeitigem Stand erfordert dies für Potsdam die Zertifizierung von fünf Angebotsbündeln. Die in den Bündeln zusammengefassten Angebote müssen ihrerseits zuvor einzeln zertifiziert worden sein. Die Kosten pro Betrieb liegen, wie bereits beschrieben, zwischen 345 € und 1.3.70 €. Weiterhin fallen Kosten für die Zertifizierung des jeweiligen Angebotsbündels in Höhe von ca. 200 € je Bündel sowie ein Kennzeichnungsentgelt des Ortes an sich in Höhe von ca. 350 € an. Die Kennzeichnung ist maximal drei Jahre gültig und kann nach Ablauf verlängert werden. Kostenseitig betrachtet bedeutet dies nach einer ersten groben Schätzung für Potsdam einen finanziellen Aufwand in Höhe von ca. 14.000 € (Annahme: Bildung von Mittelwerten). Dabei müssen mehr als 90% der Kosten von den Betrieben selbst getragen werden.  

 

IST-Situation in der LHP

In der Landeshauptstadt Potsdam gibt es derzeit keine Einrichtungen, die nach dem bundesweiten System „Reisen für Alle“ zertifiziert sind. Aktuell sind die SPSG Stiftung Preußische Schlösser und Gärten sowie die Stiftung Garnisonkirche im Gespräch für eine mögliche Zertifizierung. Die PMSG ist bezüglich einer Zertifizierung der Tourist-Informationen in der Vorplanung, ebenso das Museum Barberini. Demgegenüber sind im landesweiten Informationssystem „Brandenburg für Alle“ aktuell mehr als 70 Potsdamer Angebote erfasst. Die Detailinformationen dazu wurden und werden durch die TMB erhoben. Die PMSG plant, einen „Erheber“ aus den eigenen Reihen diesbezüglich schulen zu lassen. Zudem ist die TMB seit 1. Juli 2020 Lizenznehmerin von "Reisen für Alle". Damit bietet die TMB allen touristischen Partnern des Landes Brandenburg die Möglichkeit, ihre barrierefreien Angebote nach dem bundesweiten System erheben und zertifizieren zu lassen

 

Beurteilung/Votum

r touristische Destinationen bedeutet eine Kennzeichnung barrierefreier Angebote und Produkte die bedarfsgerechte Ansprache einer stetig wachsenden Kundengruppe. Barrierefreier Tourismus ist ein Segment mit Wachstum und großem ökonomischen Potenzial in Deutschland. Laut DSFT Deutsches Seminar für Tourismus Berlin e.V. ist Barrierefreiheit für etwa 10 % der Bevölkerung unentbehrlich, für 40 % hilfreich und für 100 % komfortabel. Die Wirkung auf Image und Wirtschaftsfaktor ist langfristig positiv. Demgegenüber steht die derzeit sehr angespannte wirtschaftliche Situation vieler touristischer Leistungsträger. Pandemiebedingte Schließungen sowie zusätzliche Kosten für die Umsetzung von Hygienemaßnahmen haben den Fokus verändert. Das bereits vor der Pandemie bestehende Problem des Fachkräftemangels in Hotellerie und Gastronomie kehrte verschärft zurück. Es muss davon ausgegangen werden, dass die vergleichsweise hohen Kosten und der hohe personelle Aufwand für die Zertifizierung nach „Reisen für Alle“ ein Hemmnis darstellen.

 

Ende September 2021 führte die PMSG eine Blitzumfrage zur Thematik durch. Diese richtete sich insgesamt an 20 Potsdamer Stakeholder aus den Bereichen Beherbergung, Freizeit- und Kultureinrichtungen. 64 Prozent gaben an, keine Zertifizierung für „Reisen für Alle“ anzustreben.

 

Die Zertifizierung der Destination Potsdam nach „Reisen für Alle“ wird derzeit und kurz- und mittelfristig nicht als realistisch angesehen. Grund dafür sind die bereits beschriebenen hohen personellen und finanziellen Ressourcen. Außerdem besteht im Land Brandenburg die wesentlich ressourcensparendere glichkeit der Kennzeichnung nach „Brandenburg für Alle“ ein System, das sich bereits bewährt hat und gut angenommen wird.

PMSG und LHP votieren deshalb für eine weitere Stärkung dieses landesweiten Informationsportals als Voraussetzung für mögliche Zertifizierungen. Dies erfolgt seitens der PMSG durch aktive Kommunikation. Dabei verfolgt die PMSG in enger Abstimmung mit der TMB einen ganzheitlichen Ansatz, der über die reine Bündelung von Informationen hinausgeht und auf zwei Säulen beruht: 

  • Datenerhebung nach „Brandenburg für Alle“ und damit Schaffung einer Datenbasis für eine mögliche Zertifizierung nach „Reisen für Alle“, Beratung von Partnern 
  • Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen im B2C (Business to Costumer) und B2B (Business to Business), konkret:
    • In regelmäßig stattfindenden Erfahrungsaustauschen, dem sogenannten Stammtisch Tourismus, ist das Thema Barrierefreiheit ein wiederkehrender Tagesordnungspunkt. Touristische Leistungsträger werden über die Möglichkeiten der Zertifizierung nach „Brandenburg für Alle“ und die Zertifizierung „Reisen für Alle“ informiert, die Vorteile werden hervorgehoben und es findet Vernetzung statt.
    • Barrierefreie Angebote einzelner Anbieter werden auf Aktualität geprüft und zu Gesamtangeboten zusammengefasst. Aktuell wurden in Kooperation mit der TMB zwei Gästepfade unter der Fragestellung „Wie kann ein perfekter Tag in Potsdam barrierefrei aussehen?“ entwickelt. Eine prominente Vermarktung durch die PMSG ist in Vorbereitung. Immer mehr Leistungsträger zeigen Interesse an einer Beteiligung.   
    • In direkten Gesprächen mit Betreibern von Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen wird künftig dafür geworben, dass im Rahmen von Sanierungen Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen werden, die den Ansprüchen von Menschen mit Behinderungen gerecht werden.

Das Thema „Barrierefreies Reisen“ ist als wichtiges Thema erkannt und definiert. In die Tourismuskonzeption 2025 der LHP (17/SVV/0060) wurde es als Querschnittsthema aufgenommen und wird damit bei allen Marketingmaßnahmen bedacht. Ziel ist es, dass Gäste in jeder Phase der „Customer Journey“ verlässliche Informationen zur Barrierefreiheit der touristischen Angebote vor Ort erhalten. Der von der PMSG in Kooperation mit der TMB, der LHP und den definierten Partnern beschrittene Weg soll fortgesetzt und fortlaufend evaluiert werden. Die Zusammenarbeit mit der Beauftragten für Menschen mit Behinderung der LHP wird weiter intensiviert. Dazu gehören fachliche Abstimmungen, die Einbeziehung bei der Entwicklung von Angeboten sowie gegenseitige Informationsaustausche. Wichtig ist zudem, die Belange von Gästen mit Behinderungen grundsätzlich im Kontext von Bau- bzw. Sanierungsmaßnahmen zu thematisieren. Nicht nur Gebäude müssen barrierefrei bzw. barrierearm erreichbar bzw. nutzbar sein, sondern auch die Straßen und Wege dahin. Im Abgleich mit der Tourismuskonzeption 2025 wird geprüft, das Querschnittsthema Barrierefreiheit als Schwerpunkt in der Marketingplanung der PMSG zu platzieren. Vorgesehen ist derzeit das Jahr 2023. Im Rahmen der Berichterstattung der Verwaltung wird zukünftig über die Entwicklung des Themas barrierefreier Tourismus informiert. Im Kontext der Berichterstattung zur Umsetzung der Tourismuskonzeption 2025 soll jedes Jahr darüber berichtet werden.  

 

Loading...