Große Anfrage - 00/SVV/0809
Grunddaten
- Betreff:
-
Pläne zum Wiederaufbau der Garnisonkirche
- Status:
- öffentlich (Vorlage abgeschlossen)
- Vorlageart:
- Große Anfrage
- Federführend:
- Fraktion Die Andere
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | PA |
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●
Erledigt
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Stadtverordnetenversammlung der Landeshauptstadt Potsdam
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Anhörung
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01.11.2000
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Beschlussvorschlag
Traditionslinien und Symbolgehalt der Garnisonkirche
1. Welchen Symbolgehalt hat die Garnisonkirche heute nach Ansicht des
Oberbürgermeisters?
2. Welche Inschriften tragen die Glocken des Glockenspiels heute?
3. Wann wurden welche Inschriften aus welchem Grund entfernt?
4. Welche Melodien spielt das Potsdamer Glockenspiel derzeit regelmäßig?
5. Welche Geschichte und welchen Symbolgehalt haben diese Melodien nach
Einschätzung des Oberbürgermeisters für rechtsextremistische Gruppierungen heute?
6. Ist dem Oberbürgermeister bekannt, daß sich die Traditionsgemeinschaft Potsdamer
Glockenspiel kurz nach der Wende in einem Brief an die Stadtverwaltung für ein
Deutschland in den Grenzen von 1937 einsetzte?
(Bitte das Schreiben in Kopie der Antwort beilegen)
7. Ist dem Oberbürgermeister bekannt, daß an der Einweihungsveranstaltung anläßlich
der Aufstellung des Glockenspiels in Potsdam Reichskriegsflaggen gezeigt wurden?
8. Welchen Symbolgehalt hat nach Einschätzung des Oberbürgermeisters die
Garnisonkirche für rechtskonservative bzw. rechtsextremistische Gruppierungen
heute?
Kosten und Art des geplanten Wiederaufbaus
9. Welche Teile der Garnisonkirche sollen aufgebaut werden?
10. Welche bauliche Ausführung ist vorgesehen?
11. Wie teuer wäre der Aufbau der Garnisonkirche bzw. ihres Turmes?
12. Wie hoch wären die nötigen Zuschüsse
a) aus Bundesmitteln
b) aus Landesmitteln
c) aus städtischen Mitteln
d) durch sonstige öffentliche Stellen, Einrichtungen oder Stiftungen?
13. Welche Kosten z.B. für die Prüfung und Erteilung von Baurechten oder nötige
Straßenbaumaßnahmen hätte die Stadt Potsdam zu tragen?
14. Welche Auswirkungen auf den Verkehr in der Breiten Straße hätte ein Aufbau der
Garnisonkirche?
15. Welche Folgen hätte ein Aufbau für die derzeit im Rechenzentrum ansässigen Firmen
und Einrichtungen?
16. Wer soll als Träger des Aufbauprojektes fungieren?
Nutzung der Garnisonkirche
17. Welche Nutzung ist für den Turm bzw. die Kirche vorgesehen?
18. Wem soll später das Hausrecht zustehen?
19. Besteht seitens der Heilig-Kreuz-Gemeinde Interesse an einer künftigen Nutzung der
Garnisonkirche?
20. Welche Gründe bestehen für deren Standpunkt?
(Bitte evtl. vorliegende Stellungnahmen in Kopie der Antwort beilegen.)
21. Ist der Oberbürgermeister bereit, den Aufbau der Garnisonkirche evtl. auch gegen
den erklärten Willen der zuständigen Kirchgemeinde durchzusetzen?
Öffentliche Diskussion und Bürgerbeteiligung
22. Hält der Oberbürgermeister es für denkbar, ein derart umstrittenes Projekt wie den
Aufbau der Garnisonkirche ohne eine (zumindest repräsentativ) Bürgerbefragung
durchzusetzen?
23. Zu welchen Themen und Fragestellungen wurden seit dem Amtsantritt des
Oberbürgermeisters auf dessen Veranlassung repräsentativ oder vollständige
Untersuchungen durchgeführt?
24. Wann und in welcher Weise soll die Bevölkerung an der Entscheidungsfindung
beteiligt werden?
25. Wird der Oberbürgermeister vor der Beteiligung der Bürgerinnen rechtsverbindliche
Zusagen machen bzw. Genehmigungen erteilen?
Wir bitten ausdrücklich um Beantwortung entsprechend der durch uns gewählten Nummerierung.
Antwort:
zu1.
Die Garnisonkirche gehörte zu den schönsten barocken Kirchengebäuden Norddeutschlands. Im Gegensatz zur schlichten Berliner Garnisonkirche gelang dem Baumeister Gerlach mit diesem Potsdamer Kirchenbau ein architektonisches Meisterwerk, dessen Turm die Stadtsilhouette entscheidend prägte. Die Kirche diente seit 1735 der Potsdamer Bevölkerung, inklusive der hier stationierten Soldaten, zu sakralen Zwecken. Trotz der Einbeziehung und des Mißbrauchs des Symbolgehaltes der Garnisonkirche durch die Nationalsozialisten nach 1933 stellte die Garnisonkirche einen entscheidenden Punkt in der historischen Stadtmitte dar.
zu 2.
Das Glockenspiel besaß sowohl 1735 als auch 1991 (14.04 Aufstellung in Potsdam) jeweils 40 Glocken. Die Inschriften der historischen und der neu in Holland nach gegossenen und von der Firma Karfhage und Sohn aus Mellebuer bei Osnabrück zusammengebauten Glocken entnehmen sie bitte der Anlage. Die neuen Glockeninschriften weichen von denen der Originale ab. Als zentrales Thema wurden die" Texte der Zehn Gebote des Alten Testaments gewählt. Desweiteren finden sich auf den Bronzeglocken die Namen bedeutender Preußen, wie Friedrich Wilhelm l., Friedrich der Große, Königin Luise, Scharnhorst, Gneisenau und Clausewitz, in einigen Fällen auch die Stifternamen. Andere Glocken sind mit Zitaten versehen, wie der Wahlspruch Friedrich II.: Suum cuique" oder der Ausspruch Friedrich Wilhelm l.: So ich nun baue Stadt und Land und mache nicht Christen, ist alles nichts nütze." Zwei Glocken tragen die
Zitate Friedrich II.: Mehr sein als scheinen" und Kein Unglück Ewigk",
zu 3.
Die Glocken 18-24 trugen Namen ostdeutscher Städte und Provinzen, die aufgrund der Verträge zur deutschen Einheit bei der Neuaufstellung gelöscht wurden. Ihre Nennung war kein Akt des Revanchismus", sondern stand im Einklang mit dem damaligen Artikel 23 des Grundgesetzes.
zu 4.
Zur vollen Stund spielt das Glockenspiel den Lieblingschoral König Friedrich Wilhelm III. "Lobe den Herren" von Joachim Neander und zur halben Stunde erklingt aus der "Zauberflöte" von Mozart "Üb immer Treu und Redlichkeit" (vgl. Anlage), eine mitteldeutsche Volksweise, die Mozart 1775 in die Zauberflöte" übertragen hat. Diese Melodienfolge wurde 1797 vom Regenten festgelegt.
zu 5.
Rechtsextremistischer Inhalt ist in diesen Musikstücken nicht zu erkennen.
zu 6.
Zu diesem Brief ist uns nichts bekannt.
Zu 7.
Über diesen Sachverhalt findet sich kein Hinweis in unseren Unterlagen.
zu 8.
Diese Einschätzung ist aus Sicht des Oberbürgermeisters schwer zu treffen, da die Beantwortung
im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau von der zukünftigen Nutzungsart abhängt. Es soll
jedoch daraufhingewirkt werden, dass eine entsprechende Signalwirkung durch die neue Nutzung
ausgeschlossen wird.
Wird der Turm, wenn er dann aufgebaut ist, dem Frieden, der Versöhnung und der Gewaltlosigkeit
gewidmet, dürfte er wohl kaum für Rechtsextremisten als Anlaufpunkt interessant sein.
Kosten und Art des geplanten Wiederaufbaus
zu 9.
Der Traditionsverein Potsdamer Glockenspiel möchte den Turm aufbauen.
zu 10. Folgende bauliche Ausführung ist vorgesehen:
=> Stahlbetonskelett
=> Mauerwerksvorsatz
=> historisch nachgebildete Fassade in Putz und Sandstein
=> Bildhauerstücke in Sandstein
=> hölzerne Dachkonstruktion
zu 11.
Der vom Traditionsverein Potsdamer Glockenspiel geschätzte Kostenrahmen von ca. 20 Mio DM erscheint nach gegenwärtigem Stand und überschlägiger Prüfung plausibel. Zu den 20 Mio DM sind Kosten für Grunderwerb, Baufreimachung (Abriss, Ausgleichungsarbeiten), Erschließung und Innenausbau der Obergeschosse nicht enthalten.
zu 12.
Der Traditionsverein Potsdamer Glockenspiel geht von einer Finanzierung des Aufbaus des
Turmes durch Spendenmittel aus.
zu 13.
Die Veränderung des Straßenquerschnittes Breite Straße ist Sanierungsziel und würde deshalb
aus der Sanierungsmaßnahme finanziert werden.
Die Kosten für die Baugenehmigung trägt der Antragsteller. Diese Kosten sind in der Kostenkalkulation enthalten.
zu 14.
Die Breite Straße soll mit jeweils zwei Richtungsfahrbahnen ausgestattet bleiben. Gegenüber der heutigen Situation soll die Fahrbahnbreite verringert werden und die Mittelinsel entfernt werden. Dies ermöglicht die Pflanzung von Straßenbäumen und den Bau des Garnisonskirchturmes außerhalb der Fahrbahnflächen. Das entspricht dem Verkehrskonzept mit geplanter ISES-Verlängerung. Außerhalb der Fahrbahn ergibt sich die Schwierigkeit, dass Gehweg und Radweg nicht zwischen Turm und Bordstein geführt werden können. Hierfür muss vor dem Bau des Turmes eine Lösung erarbeitet werden. Eventuell muss der Fußweg durch den Turm geführt werden.
zu 15.
Für den Bau des Turmes muss der eingeschossige Bauteil, in dem sich das Fahrradgeschäft befindet, abgetragen werden. Die bauordnungsrechtlichen Voraussetzungen der Bebauung im Hinblick auf das Rechenzentrum (Abstandsflächen) wurden noch nicht geprüft.
zu 16.
Träger des Aufbauprojektes soll nach Vorstellung des Traditionsverein Potsdamer Glockenspiel
eine einzurichtende Stiftung oder der Traditionsverein selbst sein.
Nutzung der Garnisonkirche
zu 17.
Eine Konkretisierung der Nutzungsart hat noch nicht abschließend stattgefunden
zu 18.
Daher ist bisher noch nicht geklärt, wer das Hausrecht ausüben soll.
zu 19.
Von der evangelischen Kirchengemeinde wurden gegenüber der Stadtverwaltung noch keine
konkreten Nutzungsabsichten geäußert.
zu 20.
Daher liegen keine Stellungnahmen der Kirchengemeinde vor.
zu 21.
Nein, im übrigen ist dies auch die Aussage des Traditionsvereins Potsdamer Glockenspiel.
Öffentliche Diskussion und Bürgerbeteiligung
zu 22.
Der Oberbürgermeister geht davon aus, dass sich der intensive Diskussionsprozeß um die Frage des Wiederaufbaus der Garnisonkirche fortsetzen wird. Die Schaffung der rechtlichen Rahmenbedingungen für einen Wiederaufbau (Bauleitplanung) setzt eine Bürgerbeteiligung voraus, die von der Verwaltung sorgfältig vorgenommen wird. Die Letztentscheidung dieses
Verfahrens ist die Beschlussfassung der StVV über die Satzung. Da die StVV bzw. die Stadtverordneten die repräsentative Querschnittsbildung der Bevölkerung ist, sind weitere repräsentative Befragungen aus Sicht des Oberbürgermeisters nicht erforderlich.
Zu 23.
Es wurden keine Untersuchungen durch den Oberbürgermeister veranlasst.
Zu 24.
Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung der Bauleitplanung kann jeder Anregungen zu den
Planungsinhalten äußern.
Zu 25.
Nein