Mitteilungsvorlage - 20/SVV/0894

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag

Die Stadtverordnetenversammlung nimmt zur Kenntnis:

 

Grundlagen

 

Grundlage für die Erstellung einer sozialen Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 BauGB ist die Feststellung des Vorhandenseins einer Wohnbevölkerung, deren Zusammensetzung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll. Ziel einer sozialen Erhaltungssatzung ist es, die Bevölkerung in einem bestimmten Gebiet vor Verdrängung zu schützen, die sich zum Beispiel durch umfangreiche Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen oder Umbaumaßnahmen, die mit erheblichen Mietsteigerungen einhergehen, ergeben können. Erhaltungssatzungen können allerdings aufgrund ihrer städtebaulichen Bestimmtheit kein Ersatz für individuellen Mieterschutz darstellen. Hierzu dient das Mietrecht, das nach der Reform vom 1. Januar 2019 Mieter auch besser vor unverhältnismäßigen Mieterhöhungen nach Modernisierungsmaßnahmen schützen soll.

 

In der Regel sind umfangreiche demographische und bauliche Untersuchungen notwendig, um festzustellen, ob die Wohnbevölkerung in einem bestimmten Gebiet vor unerwünschten Veränderungen durch eine Erhaltungssatzung geschützt werden muss. Diese Untersuchungen zur rechtssicheren Aufstellung einer sozialen Erhaltungsatzung erfolgen oft mit externer Unterstützung.

 

Gemäß Beschluss 19/SVV/0686 wurden daher zunächst Kriterien für die Charakteristik und die Gefährdung für das gesamte Stadtgebiet definiert („Grobscreening“), die aus Primärdaten der Stadtverwaltung ableitbar sind, die auf kleinräumiger Ebene für das gesamte Stadtgebiet vorliegen. Dies erfolgte auch mit dem Ziel, vergleichbare Indikatoren für das gesamte Stadtgebiet zu entwickeln und so eine übergeordnete Einschätzung zu ermöglichen, ob bzw. in welchen weiteren Gebieten Grundlagen für die Erstellung einer sozialen Erhaltungssatzung bestehen könnten.

 

Die kleinste räumliche Einhheit, für die kommunalstatistische Daten vorliegen, sind die 84 statistischen Bezirke der Landeshauptstadt Potsdam.

 

 

Schritte zur Eingrenzung des Grobscreenings

 

In einem ersten Schritt wurde analysiert, welche dieser statistischen Bezirke von einer Wohnnutzung sowie von der überwiegenden Bereitstellung der Wohnungen zur Miete geprägt sind. Auf Grundlage der stadtweit kommunalstatistisch erfassten Gebäudetypen wurde davon ausgegangen, dass Einfamilien- und Doppelhäuser in der Regel durch den Eigentümer oder die Eigentümerin selbst genutzt werden, Wohnungen in Mehfamilienhäusern dagegen weit überwiegend vermietet werden. Daher wurden zunächst jene statistischen Bezirke mit mehr als 500 Wohnungen in Mehrfamilienhäusern sowie ein Anteil von mehr als 50% an Mehrfamilienhäusern im Bezirk ermittelt (siehe Karte 1).

 

Es wird weiterhin davon ausgegangen, dass bei den Wohnungen in kommunalem und genossenschaftlichem Eigentum keine Gefährdung der Bevölkerungsstruktur zu erwarten ist, insbesondere weil hier keine Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen erfolgt und Möglichkeiten innerhalb der kooperativen Zusammenarbeit mit der Landeshauptstadt Potsdam bestehen, solchen Gefährdungen vorzubeugen (siehe Karte 2). In einem zweiten Schritt wurde daher in den nach dem ersten Analyseschritt verbliebenen 42 statistischen Bezirken der Landeshauptstadt Potsdam untersucht, über welchen Anteil genossenschaftliche und kommunale Eigentümer am Gesamtbestand der Wohnungen in Mehrfamilienhäusern verfügen. Dafür wurden 5 Klassen in 20-Prozent-Schritten gebildet (siehe Anlage 1). Es kann als gesichert gelten, dass bei einem überwiegend kommunal-genossenschaftlichen Anteil grundsätzlich kein Bedarf für die Anwendung städtebaulicher Instrumente zum Schutz erhaltenswerter Bevölkerungsstrukten besteht. Eine here Betrachtung des Wohnungsbestandes mittels weiterer Daten soll hingegen in jenen statistischen Bezirken erfolgen, in denen der private Eigentumsanteil über 40% liegt. Dies war in insgesamt 27 statistischen Bezirken der Fall. Der statistische Bezirk 623 (Kunersdorfer Straße), der teilweise gemäß der Anlage zum ursprünglichen Beschlussantrag im vorgeschlagenen Geltungsbereich lag, hat einen Anteil genossenschaftlichen und kommunalen Wohnungsbestands in Mehrfamilienhäusern vom mehr als 80 Prozent. Er wird im Weiteren nicht in die Analysen der Bevölkerungs- und Wohnungsstruktur einbezogen.

 

Schlussfolgerungen für das Umfeld des RAW-Geländes

 

Mit Bezug auf Beschluss 19/SVV/0686 ergibt sich für das Umfeld des RAW-Geländes folgendes Bild: Die Teltower Vorstadt (Statistischer Bezirk 622 Teltower Vorstadt Nord“) sowie die statistischen Bezirke 421 („Brauhausberg Nord“), 422 („Hauptbahnhof“), 523 („Weberplatz“) und 523 (Lutherplatz) weisen eine baulichen Nutzung, eine Wohngebäudetypologie und eine Eigentümerstruktur auf, die ein Grobscreening sinnvoll erscheinen lassen. In den ebenfalls im näheren Umfeld des RAW-Geländes liegenden statistischen Bezirken 431, 432 und 534 gibt es dagegen einen ausreichend hohen Anteil an genossenschaftlichen und kommunalen Vermietern, um eine Veränderung der Bevölkerungsstruktur auf Grund baulicher Änderungen infolge veränderter Bewirtschaftungsstrategien ausschließen zu können (431 Zentrum Ost) bzw. fehlt es an vermietbarem Wohnraum im Sinne der Abgrenzung für eine vertiefende Untersuchung (432 Nuthepark), 534 Nuthewiesen Babelsberg).

 

In das Grobscreening einbezogen werden daher die statistischen Bezirke Teltower Vorstadt, Hauptbahnhof, Weberplatz und Lutherplatz. Sie kommen als Wohngebiete in Frage, auf deren Bevölkerungsstruktur sich die gewerbliche Entwicklung des RAW-Geländes auf Grund der räumlichen Nähe und der Bewirtschaftungsstrategien für den vorhandenen Wohnungsbestand auswirken kann.

 

Grobscreening

Das stadtweite Grobscreening soll künftig in die kommunale Wohnungsmarktbeobachtung eingebettet werden. Folgende Kriterien sind dafür möglichst auf Ebene der statistischen Bezirke vorgesehen:

 Bevölkerungsstruktur

  • Langzeit- und Kurzzeit-Bevölkerung: Anzahl und Anteil von Bewohnern mit mehr als 10 Jahren bzw. unter 2 Jahren Wohndauer,
    sowie deren Veränderung im 3-Jahreszeitraum (2017-2019) mit den Klassen steigend, stabil und sinkend
  • Wegzugsrate (Wegzüge aus dem statistischen Bezirk bezogen auf 1 000 Einwohner mit Hauptwohnung) Anzahl und Anteil,
    und deren Abweichung vom gesamtstädtischen Durchschnitt (3 Kategorien: überdurchschnittlich, durchschnittlich, unterdurchschnittlich);
    sowie deren Veränderung im 3-Jahreszeitraum (2017-2019) mit den Klassen steigend, stabil
  • Haushaltstypen: Anzahl und Anteil folgender Haushaltstypen im jeweiligen statistischen Bezirk: Einpersonenhaushalte, Haushalte mit Personen über 65 Jahre, Haushalte mit Kindern, Alleinerziehende (Mehrpersonenhaushalte mit 1 erwachsenen Person), Haushalte mit Personen mit Migrationshintergrund;
    sowie deren Veränderung im 3-Jahreszeitraum (2017-2019) mit den Klassen steigend, stabil und sinkend
  • Transferhaushalte (Wohngeld, SGB II, SGB XII): Anzahl und Anteil an der Gesamtzahl im jeweiligen statistischen Bezirk
    und deren Abweichung vom gesamtstädtischen Durchschnitt (3 Kategorien: überdurchschnittlich, durchschnittlich, unterdurchschnittlich)
    sowie deren Veränderung im 3-Jahreszeitraum (2017-2019) mit den Klassen steigend, stabil und sinkend

Wohnungsbestand

  • Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindungen: Anzahl und Anteil am Gesamtwohnungsbestand (Kategorien: 0-5%, 5-10%, über 10 bis 15%, über 15%);
    sowie deren Veränderung im 3-Jahreszeitraum (2017-2019) mit den Klassen steigend, stabil und sinkend
  • Wohnungsgrößen: Anzahl und Anteil von Wohnungen mit einem, zwei, drei, vier und mehr als vier Räumen
    sowie Gegenüberstellung der Wohnungsgrößenstruktur mit der Haushaltsgrößenstruktur im jeweiligen statistischen Bezirk
  • Typische Baualtersstruktur und durchschnittliche Mietenentwicklung für die jeweils typische Baualtersklasse(n) gegenüber vorausgegangenem Mietspiegeln

 

Weitere Kriterien können bei Bedarf und bei Vorhandensein ergänzt werden.

 

Erste Schlussfolgerungen für das Umfeld des RAW-Geländes.

 

Zum Zeitpunkt der Erstellung der Mitteilungsvorlage waren noch nicht alle Kriterien ausgewertet. Für folgende Kriterien lassen sich jedoch beispielhaft Tendenzen beschreiben:

 

Wohnraum für Familien

 

Gegenüberstellung der Anzahl von Wohnungen mit 4 und mehr Zimmern und der Anzahl der Haushalte mit 4 und mehr Personen

 

Statistischer Bezirk

Anzahl der Wohnungen mit 4 und mehr Zimmern

Anzahl der Haushalte mit 4 und mehr Personen (Farbe = Kategorie)

421 Brauhausberg Nord

97

97

422 Hauptbahnhof

0

4

523 Weberplatz

292

415

531 Lutherplatz

290

401

622 Teltower Vorstadt Nord

47

115

 

 

Daraus kann abgeleitet werden, dass es in den statistischen Bezirken Weberplatz, Lutherplatz und Teltower Vorstadt Nord einen strukturellen Mangel an „Familienwohnungen“ gibt. Es wird weiter davon ausgegangen, dass schon jetzt ein starker Nachfragedruck auf große Wohnungen alleine aus dieser Zielgruppe heraus besteht. Da auch Haushalte mit geringerer Personenzahl diese Wohnungen nachfragen, fällt der Nachfragedruck noch höher aus. Eine Verringerung des Angebots großer Wohnungen etwa durch Aufteilung oder Wegfall aus dem Mietwohnungssegment kann zu einer weiteren Verschärfung der Versorgungssituation führen, auch mit potenziellen Folgen für die im Umfeld liegenden Kitas und Schulen.

 

Anteil an Mietpreis- und Belegungsbindungen in den 5 näher betrachteten statistischen Bezirken.

 

Der gesamtstädtischer Durchschnitt liegt bei 6,7 Prozent. Es wird davon ausgegangen, dass ein Bestand mindestens in Höhe dieses Durchschnittswertes erforderlich ist, um Haushalte mit geringem Einkommen und / oder Marktzugangsschwierigkeiten, die nahezu vollständig auf Mietwohnraum angeweisern sind, im jeweiligen statistischen Bezirk versorgen zu können, wenn sie auf einen Wohnungswechsel angewiesen sind.

 

Anzahl und Anteil der mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen

 

Statistischer Bezirk

Anzahl gebundener Wohnungen

Anteil gebundener Wohnungen (in %), Farbe = Kategorie

421 Brauhausberg Nord

135

17,7

422 Hauptbahnhof

0

0

523 Weberplatz

156

5,5

531 Lutherplatz

55

1,7

622 Teltower Vorstadt Nord

27

3,4

 

Daraus kann abgeleitet werden, dass grundsätzlich überdurchschnittliche Versorgungsmöglichkeiten für Haushalte mit geringem Einkommen und / oder Marktzugangsschwierigkeiten im statistischen Bezirk Brauhausberg Nord bestehen. Das Risiko einer Verdrängung, die beispielsweise zu einem Bedarf an der Schaffung preiswerten Wohnungsraums an anderer Stelle führt, ist für diesen Bezirk nicht ableitbar. Für den Weberplatz gilt dies nur eingeschränkt, für die drei übrigen statistischen Bezirke ist aus dem sehr geringen Anteil an vorhandenen Bindungen ableitbar, dass über dieses Instrument kein hinreichender Schutz vor Verdrängung der Zielgruppen des sozialen Wohnungsbaus möglich ist.

 

Schlussfolgerung und weitere Schritte

 

Bereits aus den dargestellten Auswertungen ergeben sich erste Hinweise, dass im Umfeld des RAW-Geländes Bevölkerungsstrukturen anzutreffen sind, die aus städtebaulichen Gründen als schützenswert anzusehen sind, für deren Schutz aber bislang keine hinreichenden Instrumente vorliegen.

 

Erst mit der Vorlage aller Daten kann eine abschließende Einschätzung vorgenommen werden, ob die Erstellung einer sozialen Erhaltungssatzung nach § 172 BauGB im Gebiet südlich des Hauptbahnhofes (sowie die Aufstellung von Satzungen in weiteren Gebieten) erforderlich, rechtlich vertretbar und verhältnismäßig ist und mit welchem Inhalt und Geltungsbereich dieses sinnvoll umsetzbar wäre.

 

Eine entsprechende Stellungnahme ist im ersten Quartal 2021 geplant. Über aktuelle Stände kann bei Bedarf regelmäßig berichtet werden.

 

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Anlagen

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