Antrag - 12/SVV/0844

Reduzieren

Beschlussvorschlag

Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen:

 

Paul von Beneckendorff und von Hindenburg (1847–1934) wird aus der Ehrenbürgerliste gestrichen. Der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung  über die Verleihung der Ehrenbürgerwürde wird aufgehoben.

Reduzieren

Erläuterung

Begründung:

 

Es gibt keinen Grund, Paul von Beneckendorff und von Hindenburg – Reichspräsident und Generalfeldmarschall – weiterhin als Ehrenbürger der Landeshauptstadt Potsdam zu führen. Für eine Streichung spricht jedoch:

 

1. Vor dem Hintergrund der neuesten geschichtlichen Forschung, insbesondere durch die Historikerkommission, welche jüngst im Auftrag der Stadt Münster u.a. die Verantwortlichkeit Hindenburgs an der Machtübernahme der Nationalsozialisten untersuchte, kann die These, Hindenburg habe Hitler zunächst effektiv Widerstand geleistet, nicht aufrecht erhalten werden.

 

2. Andere deutsche Großstädte haben Hindenburg aus der Ehrenbürgerliste gestrichen. Im Jahr 2010 entfernte beispielsweise die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart den Namen des „Helden von Tannenberg“ aus ihrer Liste. Das Argument, eine Streichung sei nach dem Tode des Geehrten formal nicht mehr möglich, erscheint zweifelhaft.

 

3. Die Nachkriegsgenerationen sind – so weiß es schon die Erklärung der Potsdamer Stadtverordneten aus dem Jahr 2003 – verpflichtet, sich mit „dem schweren Erbe des Nationalsozialismus auseinandersetzen“ und sich „weiter mit den historischen, politischen, völkerrechtlichen und psychologischen Ursachen dieser Entwicklung auseinanderzusetzen, damit sich solche Vorgänge nicht wiederholen können“. Die Nachkriegsgenerationen sind jedoch nicht verpflichtet, etwas zu akzeptieren, was inakzeptabel geworden ist bzw. immer war – Hindenburg als Ehrenbürger der Landeshauptstadt Potsdam.

 

 

Im Einzelnen:

 

Das Internetlexikon Wikipedia weist auf der chronologisch nach der Verleihung des Titels geordneten Liste der Ehrenbürger Potsdams aus: „Paul von Hindenburg, Generalfeldmarschall und Reichspräsident.“ Bittet man die Potsdamer Stadtverwaltung um eine Liste der Ehrenbürger der Stadt, so erhält man diese einschließlich des Namens Hindenburgs.

 

Mit der so genannten „nationalen Erhebung“, der Ernennung Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler durch Paul von Beneckendorff und von Hindenburg, gingen zahlreiche Städte des Deutschen Reichs dazu über, Hindenburg neben führenden Politikern der NSDAP und trotz fehlenden Ortsbezuges zu ihrem Ehrenbürger zu ernennen. Insgesamt war Hindenburg Ehrenbürger von 150 deutschen Städten. Darunter war und ist noch immer Potsdam.

Unmittelbar nach der Ernennung Hitlers löste Hindenburg den Reichstag auf und nahm diesem dadurch bewusst die Möglichkeit eines Einspruchs gegen die Ernennung Hitlers. Am 21. März 1933 kam es zu dem historischen Händedruck zwischen dem Reichspräsidenten und Adolf Hitler in der Potsdamer Garnisonkirche. Aufgrund dieser Vergangenheit sprach sich der evangelische Theologe und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer im April 2012 gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche aus. Die „braune Asche“ lässt sich nicht abwaschen.

 

Bereits im März 2003 verabschiedeten die Stadtverordneten der LHP per Beschluss die „Potsdamer Erklärung“. Dort heißt es unter anderem:

 

(…) „Wenige Wochen nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler wurde am 21.03.1933 in Potsdam anlässlich der Eröffnung des aus der Wahl vom 05.03.1933 hervorgegangenen Reichstages der symbolische Schulterschluss von monarchistischem Preußentum und Nationalsozialismus vollzogen. Der Händedruck zwischen Hitler und dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg in der Potsdamer Garnisonkirche symbolisierte den Weg in eine menschenverachtende Diktatur und zu einem größenwahnsinnigen Krieg, der unsägliches Leid, Zerstörung und Tod brachte und mit dem totalen Zusammenbruch Deutschlands endete.“ (...)

 

Doch auch die Zeit vor 1933 gibt wenig Anlass, Hindenburg zu ehren. Hindenburg war Teil einer Generalität, die das militärische Scheitern und Hunderttausende von Toten im Ersten Weltkrieg (1914 bis 1918) zu verantworten hatte. Trotzdem war er es, der in der Weimarer Republik die abwegige Erklärung vortrug, die Heimatfront sei der kämpfenden Truppe in den Rücken gefallen. Das Märchen von der Dolchstoßlegende belastete die junge Weimarer Republik. Auch die anti-parlamentarische Ausrichtung Hindenburgs war bekannt und lange vor 1933 erkennbar.

 

All das ist nicht neu. Dennoch hat sich die geschichtliche Betrachtung Hindenburgs in den vergangenen zehn Jahren geändert.  Als sich die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Potsdam im Jahr 2003 auf Antrag der Fraktion Die Andere mit der Aberkennung der Ehrenbürgerwürde Hindenburgs auseinandersetzte, argumentierte  Martin Sabrow vom Zentrum für zeithistorische Forschungen (ZZF) u.a. wie folgt:  Für die These, dass Hindenburg "effektiveren Widerstand gegen Hitlers Machtübernahme geleistet hat als der kommunistische Parteiführer Ernst Thälmann oder der sozialdemokratische Ministerpräsident Otto Braun" gebe es Argumente. Ohne die Kandidatur des 84-Jährigen wäre Hitler bereits im April 1932 Reichspräsident gewesen. Die Nationalsozialisten hätten stattdessen den Eindruck gewinnen müssen, sie könnten sich "zu Tode siegen", würden aber stets am "Bollwerk Hindenburg" scheitern. Der "Tag von Potsdam" könne laut Sabrow auch als "letzte glänzende Manifestation des konservativen Preußentums" gedeutet werden.

 

Mit der neuesten Forschung muss diese Auffassung als überholt angesehen werden. Die beiden renommierten Historiker Hans-Ulrich Thamer und Alfons Kenkmann haben im Jahr 2010 im Auftrag der Stadt Münster eine wissenschaftliche Studie angefertigt. Zu beleuchten war, in welcher Beziehung der Namensgeber des Münsteraner Hindenburg-Platzes zu Adolf Hitler stand und ob er am Zustandekommen des nationalsozialistischen Regimes eine Mitverantwortung trug.  Thamer und Kenkmann sind sich in der Rolle Hindenburgs einig: „Er hat nicht als seniler Tattergreis im Dämmerzustand Politik gemacht, sondern hat eine aktive Strategie verfolgt“. Die neuen Forschungen von Wolfram Pyta belegen dies. Auf dessen Standardwerk beziehen sich auch Thamer und Kenkmann.

 

Laut Thamer zählt Hindenburg zu den „Steigbügelhaltern Hitlers“. Die „aktive Mitwirkung an der Zerstörung der Weimarer Republik“ sei erwiesen, die „aktive Mitwirkung“ an der Etablierung der NS-Diktatur auch. Als im März 1933 Wahlplakate gedruckt wurden, die Hitler und Hindenburg zeigten, ist kein Protest des Reichspräsidenten gegen diese Plakate überliefert worden. Auch ein Einsatz Hindenburgs gegen den ersten Judenboykott der Nazis ist nicht überliefert. Bekannt ist jedoch eine Radioansprache Hindenburgs Ende 1933, in der er Hitler überschwänglich lobt.

 

Kenkmann schlussfolgert daraus die Verantwortlichkeit Hindenburgs am Aufstieg Hitlers.

 

„Er hat Hitler in eine komfortable Lage gebracht. Wäre Hitler über den Weg eines gewaltsamen Umsturzes an die Macht gelangt, hätte er nie auf die Loyalität der Beamten, der Richter und der Offiziere zählen können. Diese Loyalität hat ihm Hindenburg verschafft. (...)

 

Hitlers knallharter Antisemitismus war seit den 1920er Jahren bekannt. Der Boykott jüdischer Geschäfte, das Einrichten der ersten Konzentrationslager oder auch der Röhm-Putsch mit der Ermordung politischer Gegner – all das hat Hindenburg nicht zum Anlass genommen, Hitler als Reichskanzler wieder zu entlassen.“

 

Zur Umbenennung des Münsteraner Hindenburg-Platzes und vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse Thamers und Kenkmanns äußerte sich der Oberbürgermeister Münsters Markus Lewe (CDU) wie folgt:

 

„(…) „Das bisherige Namenspatronat Hindenburgs ist nach Auffassung der vom Rat eingesetzten Kommission angesichts jüngerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und eines dadurch veränderten Geschichtsbildes nicht mehr haltbar. Hindenburg wollte hinter die Demokratie von Weimar zurück und die freiheitliche Ordnung bewusst in eine autoritär-obrigkeitliche umwandeln. Das hat er geschafft, und das Verhängnis nahm seinen Lauf bis zum völligen Kultur- und Zivilisationsbruch. Deshalb verdient Hindenburg in unserer Stadt nicht mehr die Ehre eines Straßennamens.

Bildersturm, Besserwisserei und Widerstand gegen die Barbarei aus der kommoden Lage des in Frieden, Freiheit und Wohlstand Nachgeborenen sind mir prinzipiell verdächtig. Aber zur Verantwortung vor unserer Geschichte müssen wir uns bekennen und versuchen, aus ihr Lehren zu ziehen. Die Umbenennung eines Platzes ist im Vergleich zu den Millionen Menschen, die gelitten haben, ein unsagbar bescheidener Beitrag. (…)

 

 

Gegen eine Aberkennung der Ehrenbürgerwürde wurde bei der Diskussion 2003  in Potsdam ins Feld geführt, diese Würde werde zu Lebzeiten verliehen und sei nicht postum aberkennbar. Allerdings vermochte keine deutsche Stadt nach 1945 formelle Schwierigkeiten zu erkennen, Adolf Hitler postum die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen. Andere Städte hielten die Aberkennung auch bei Hindenburg für möglich und formell unproblematisch. Beispielhaft genannt seien hier Gelsenkirchen (Ende 1945) und München (1946) sowie Dortmund (1980), Köln (1989), Halle an der Saale (1991) und Stuttgart (2010).

 

Der Handschlag Hindenburgs und Hitlers vor der Potsdamer Garnisonkirche gehört zur Weltgeschichte und zum dunkelsten Kapitel der Geschichte Potsdams. Diese Geschichte muss den Potsdamerinnen und Potsdamern zur Mahnung dienen. Die Ehrung Hindenburgs durch das Führen seines Namens in der Ehrenbürgerliste hat jedoch nichts Mahnendes. Jede Generation muss neu darüber nachdenken, ob die seinerzeit ausgesprochene Ehrung noch angemessen ist.

 

Die Ehre, die Hindenburg in Potsdam durch das Führen in der Ehrenbürgerliste nach wie vor zuteil wird, war und ist nicht gerechtfertigt.

 

Loading...